Dr.-Ing. Christoph Küpper: Mein Ziel war es, für die BMW Group die Grenzen des 5G-Einsatzes auszuloten.

5G kann Ortungsanforderungen hochperformant lösen. Aber der 5G-Technologie sind auch Grenzen gesetzt. Zumindest heute noch. (Bild: BMW Group)

5G-basiertes Real-Time-Location-System in der Automobilproduktion

Technologieartikel | Artikel

31. März 2025 · 8 min
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Worum geht es

Dr.-Ing. Christoph Küpper, Product Owner Industrial Radio Applications bei der BMW Group, beschreibt im Interview mit Anja Van Bocxlaer die Hintergründe, Voraussetzungen und Ergebnisse seiner Promotion mit dem Titel „Industrielle Anwendung des Mobilfunkstandards 5G als Real-Time-Localisation-System (RTLS) in der Automobilproduktion". Er wurde im Februar 2024 an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg mit der Note summa cum laude promoviert.

Über einen Zeitraum von drei Jahren untersuchte Christoph Küpper verschiedene Lokalisierungstechnologien und baute Testfelder mit unterschiedlichen Mobilfunk- und Hardwareherstellern sowie einer 5G-basierten Lokalisierung auf. Mit seiner Promotion leistete Christoph Küpper Pionierarbeit auf unbekanntem technologischen Terrain.

Der folgende Artikel stellt die technologieunabhängige Ortungsplattform IPS-i der BMW Group vor, klärt kurz über die Leistungsfähigkeit von UWB und WiFi auf und beschreibt drei 5G-Testfelder und Anwendungsfälle. Das Fazit der Dissertation ist überraschend: 5G kann Ortungsanforderungen hochperformant lösen. Aber der 5G-Technologie sind auch Grenzen gesetzt. Zumindest heute noch.

Dr.-Ing. Christoph Küpper ist Experte für industrielle Funkanwendungen und seit mehreren Jahren bei der BMW Group tätig. Seit Februar 2023 ist er dort als Product Owner Industrial Radio Applications für die Standardisierung und Optimierung von Funksystemen in der industriellen Produktion verantwortlich. In 2024 promovierte er im Bereich der 5G-basierten Lokalisierungstechnologie (RTLS) und untersuchte deren Potenzial für industrielle Anwendungen.

Christoph Küpper, BMW

Dr.-Ing. Christoph Küpper

IPS-i – Herstellerunabhängige Ortungsplattform der BMW Group

Offene modulare Ortungsplattform

IPS-i (Internationales Produktionssystem – Identifikation & Lokalisierung) ist eine von BMW entwickelte Ortungsplattform, die seit 2016 kontinuierlich weiterentwickelt wird, um Ortungsinformationen als Plattform- und Servicelösung bereitzustellen. Viele Ortungs-Lösungen wie beispielsweise UWB verschiedener Anbieter sind proprietär und an bestimmte Hardware gebunden.

BMW hat sich bewusst für einen offenen, modularen Plattformansatz entschieden. Die Vision von IPS-i ist es, sämtliche am Produktionsprozess beteiligten Objekte unabhängig von der verwendeten Ortungstechnologie zu lokalisieren. Es werden Positionsdaten vielfältigen, unabhängigen Services und Businessprozessen zur Verfügung gestellt – skalierbar und weltweit.

Aber – und das ist aus meiner Sicht entscheidend – die richtige Ortungslösung ist immer anwendungsbezogen. Es macht einen großen Unterschied, ob ich lediglich einen Container auf einer großen Fläche mit 20 Meter Genauigkeit orten muss, um grob zu wissen, wo dieser sich befindet, oder ob ich einen Schrauber in der Montage oder ein Fahrzeug auf dem Parkplatz präzise lokalisieren möchte. Jeder Anwendungsfall hat somit völlig unterschiedliche Anforderungen, und daher ist anwendungsfall-spezifisch die beste Ortungs-Technologie zu evaluieren. Es geht nicht darum, die eine perfekte Lösung zu finden, sondern die passende Technologie für den jeweiligen Use Case zu wählen.

Dr.-Ing. Christoph Küpper, BMW Group
Dr.-Ing. Christoph Küpper Product Owner Industrial Radio Applications, BMW Group

Technologien flexibel kombinierbar

IPS-i integriert verschiedene Lokalisierungstechnologien wie UWB, GPS oder RFID, die standardisierte Lokalisierungsdaten an die Plattform liefern. Durch die herstellerunabhängige Architektur können die BMW-Werke flexibel die Technologie auswählen, die ihren spezifischen Ortungsanforderungen am besten entspricht. Sie sind nicht an einen bestimmten Anbieter gebunden.

In der Produktion der BMW Group werden beispielsweise Fahrzeuge und Werkzeuge hochpräzise geortet. (...

In der Produktion der BMW Group werden beispielsweise Fahrzeuge und Werkzeuge hochpräzise geortet. (Bild: BMW Group)

Zentrale Datenerfassung und -verarbeitung

Die Plattform sammelt und verarbeitet Positionsdaten aus unterschiedlichen Quellen und führt sie in einer einheitlichen Datenbasis zusammen. Dies ermöglicht eine technologieunabhängige Auswertung und vereinfacht die Integration in bestehende IT-Infrastrukturen. Datenaggregation und -normalisierung vereinheitlichen die Positionsdaten unterschiedlicher Systeme. Eine skalierbare Applikation verarbeitet über 500 Millionen Positionsdaten pro Stunde in 14 Produktionswerken weltweit.

Standardisierte Daten für vielfältige Anwendungen

Die Serviceebene ermöglicht es Anwendungen und Systemen, direkt auf standardisierte Positionsinformationen zuzugreifen, ohne sich mit den Details der verwendeten Positionierungstechnologie auseinandersetzen zu müssen. Services und Usecases können dabei von lokalen Nutzern im Produktionsbereich im Self-Service Prinzip auf der Plattform konfiguriert werden.

UWB und WiFi als Ortungstechnologien auf dem Prüfstand

UWB gilt als eine der präzisesten Methoden, doch die Anforderungen in der Automobilindustrie sind besonders hoch – es geht um Ortungsgenauigkeiten von bis zu 30 cm in komplexen Produktionsumgebungen mit hohem Metallanteil, schwierigen Line-of-Sight-Bedingungen, Reflexionen und Multipath-Effekten. Das macht eine präzise Ortung extrem anspruchsvoll.

Gleichzeitig sind UWB-basierte Ortungssysteme jedoch mit hohen Kosten und aufwendiger Infrastruktur in Aufbau und Wartung verbunden.

Wi-Fi ermöglicht neben signalstärkebasierter Ortung nun auch präzisere Time-of-Flight-Messungen, hat aber in industriellen Umgebungen nur eingeschränkte Anwendbarkeit aufgrund von Interferenzen und Signalreflexionen. 5G war daher der nächste logische Schritt, da es zunehmend in industrielle Anwendungen integriert wird.

BMW IPS: UWB und WiFi als Ortungstechnologien auf dem Prüfstand

Wenn eine bestehende 5G-Infrastruktur sowohl für Kommunikation als auch für Ortung genutzt werden könnte, wäre das ein ideales Szenario zur Kosten- und Effizienzoptimierung. (Bild: BMW Group)

Interview mit Christoph Küpper

1. Warum fiel die Wahl auf 5G als Ortungstechnologie?

Christoph Küpper: 5G entwickelt sich derzeit von einem reinen Mobilfunkstandard hin zu einer vollwertigen industriellen Lösung. In Gremien wie dem 3GPP wird intensiv daran gearbeitet, 5G für industrielle Anwendungen nutzbar zu machen. Genau das hat meine Fragestellung geprägt: Wenn 5G-Netze zunehmend in die Industrie integriert werden, warum dann nicht auch eine zusätzliche Funktion wie die Ortung nutzen?

Die technischen Eigenschaften und der Aufbau des Standards bieten genau dafür eine vielversprechende Grundlage. Mein Ziel war es, für die BMW Group die Grenzen des 5G-Einsatzes auszuloten. Es ging darum herauszufinden, wie weit man mit 5G in der Praxis wirklich gehen kann.

Dabei gibt es einen entscheidenden Punkt: Es besteht ein großer Unterschied zwischen „es funktioniert in einer Forschungsumgebung oder Testfeldern“ und „es funktioniert in einer realen und komplexen industriellen Umgebung“. Gerade im Kontext der Automobilproduktion ist dieser Schritt besonders herausfordernd.

Mein Ziel war es daher, den aktuellen Stand der Technik, die potenziellen Möglichkeiten und vor allem die Übersetzung von Theorie in die Praxis zu untersuchen und zu bewerten. Denn nur so kann 5G langfristig als industrielle Lokalisierungstechnologie etabliert werden.

Ortungsdaten ermöglichen die Steuerung und Optimierung von Produktionsprozessen. (BIld: BMW Group)

Ortungsdaten ermöglichen die Steuerung und Optimierung von Produktionsprozessen. (BIld: BMW Group)

2. Wie sind Sie bei der Planung der Testfelder vorgegangen?

Da sich die Umgebungsbedingungen je Anwendungsfall stark unterscheiden können, habe ich zunächst eine umfassende Anwendungsfallanalyse durchgeführt. Diese wurden auf Basis ihrer Anforderungen zusammengefasst und in drei Referenz-Anwendungsfälle überführt, welche jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Ortungstechnologie definieren. Genauer sind dies:

  • „Finde mein Produktionsmittel“: Bei diesem Referenz-Anwendungsfall werden unterschiedliche Produktionsmittel wie Paletten, Stapler oder große Werkzeuge in einer relativ offenen und von Maschinen freien Umgebung geortet.
  • „Materialfluss“: Bei diesem Referenz-Anwendungsfall wird der Materialfluss von Bauteilen und Produktionsmaterial in der Produktion zwischen dem Lager und der Montage geortet.
  • „Prozessautomatisierung“: Bei diesem Referenz-Anwendungsfall werden Fahrzeuge und Werkzeuge in der Montage geortet, um automatisiert Produktionsprozesse zu steuern. Diese Umgebung ist der anspruchsvollste der getesteten Bereiche.

Im Anschluss wurden in einem Werk Flächen identifiziert, welche diesen Referenz-Anwendungsfällen entsprechen.

Resultat daraus waren eine Fläche in der Logistik, eine auf den Material-Straßen in der Produktion und eine im Montageband selbst.

Dr.-Ing. Christoph Küpper, BMW Group
Dr.-Ing. Christoph Küpper Product Owner Industrial Radio Applications, BMW Group

Zusammen umfassten die Flächen etwa 2.500 m2 mit unterschiedlichen Variationen an Antennen-Setups. Auf den Flächen wurden zusätzlich 400 Referenzpunkte definiert, die millimetergenau mit einer Lasermessung eingemessen wurden.

Die Testfelder waren so aufgebaut, dass ein Hardwarehersteller die Core-Technologie und die Antenneninfrastruktur bereitstellte, während ein Mobile Network Operator (MNO) für den Netzbetrieb und den Aufbau des Mobilfunknetzes verantwortlich war.

Diese Aufgabenteilung ermöglichte es, modernste Hardware mit optimierten Netzwerkbedingungen zu kombinieren und so die Leistungsfähigkeit der 5G-basierten Ortungstechnologie unter realen Produktionsbedingungen zu evaluieren.

Eine Logistik-Fläche bietet eine Beispiel-Umgebung für gängige Ortungs-Anwendungsfälle und diente so...

Eine Logistik-Fläche bietet eine Beispiel-Umgebung für gängige Ortungs-Anwendungsfälle und diente somit als eine der 5G Testflächen. (BIld: BMW Group)

3. Wie sind Sie vorgegangen, um die 5G-Ortungsgenauigkeit zu bewerten?

Zunächst habe ich eine Simulation in Zusammenarbeit mit dem Bereich Lokalisierung und Vernetzung des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS Nürnberg/Erlangen durchgeführt. Gemeinsam haben wir ein 3D-Modell einer Fabrikumgebung erstellt und darauf aufbauend Raytracing-Simulationen durchgeführt.

Ziel war es, die Strahlenausbreitung in industriellen Umgebungen präzise zu analysieren und die Ortungsgenauigkeit eines 5G-Systems realistisch zu bewerten. Dabei wurden zahlreiche Faktoren berücksichtigt – Frequenzen und Frequenzbereiche, die Netzplanung, die Wahl des Antennentyps und deren Platzierung. Aus diesen Ergebnissen konnten wertvolle Informationen für die praktischen Tests auf den Testflächen gewonnen werden.

Im Werk wurden schließlich ca. 500.000 Positionsberechnungen durchgeführt. Aufgrund der zuvor eingemessenen Referenzpunkte konnte daraus die Genauigkeit des 5G-Ortungssystems berechnet werden.

Abbildung einer Raytracing-Simulation zur Abschätzung und Optimierung der 5G Ortungsgenauigkeit. (BI...

Abbildung einer Raytracing-Simulation zur Abschätzung und Optimierung der 5G Ortungsgenauigkeit. (BIld: BMW Group)

Die Simulations-Ergebnisse zeigen die Möglichkeit einer sub-meter genauen Ortung mittels 5G und gebe...

Die Simulations-Ergebnisse zeigen die Möglichkeit einer sub-meter genauen Ortung mittels 5G und geben Aufschluss über Optimierungs-Potenzial. (BIld: BMW Group)

4. Welche Ergebnisse hat Ihre Dissertation erbracht?

Meine Dissertation hat gezeigt, dass – je nach Anwendungsfall und Systemkonfiguration – mit 5G tatsächlich Submeter-Genauigkeiten im Kontext der Automobilproduktion erreicht werden können. Dies ist ein bedeutender Fortschritt, da es die technologische Machbarkeit von 5G-basierten Ortungssystemen in industriellen Umgebungen untermauert.

Besonders bemerkenswert war, dass ich zuvor angenommenen theoretischen Erkenntnisse in der Praxis weitgehend bestätigen konnte. Durch die Klassifizierung der Anforderungen konnte ich nachweisen, dass diese – je nach spezifischem Use Case – tatsächlich erfüllt werden können.

Das bedeutet, dass die 5G-Ortungstechnologie grundsätzlich industriefähig ist und in realen Produktionsumgebungen einsetzbar wäre.

Dr.-Ing. Christoph Küpper, BMW Group
Dr.-Ing. Christoph Küpper Product Owner Industrial Radio Applications, BMW Group

Allerdings hat sich auch gezeigt, dass die Einführung von 5G in der Industrie länger dauert als ursprünglich erwartet. Das liegt vor allem daran, dass die 5G-Ortungskomponente einen zusätzlichen Entwicklungsschritt darstellt, der weitere technologische Fortschritte und Anpassungen erfordert.

Diese Verzögerung betrifft vor allem die Integration in bestehende Infrastrukturen und die Anpassung an industrielle Anforderungen. So befinden sich viele Hardware-Komponenten und industriell einsetzbare „Off the Shelf“ Lösungen für 5G Ortung noch in der Entwicklung. Sowohl die Hersteller als auch die Standardisierungs-Gremien arbeiten daran, diese Herausforderungen zu lösen und im Hinblick auf 6G weiter zu optimieren.

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