Standardisierung des Digitalen Produktpass: Fundament steht, Umsetzung naht

Otto Handle, Vorsitzender der europäischen CEN/CENELEC JTC 24 WG 4 Arbeitsgruppe, über die Entwicklung des Digitalen Produktpass EU und praxisnahe Standards.

Standardisierung des Digitalen Produktpass: Fundament steht, Umsetzung naht

Technologieartikel | Interview

CEN/CENELEC · 08. Juli 2025 · 7 min
Worum geht es

Der Digitale Produktpass (DPP) soll als zentrales Werkzeug des European Green Deal Kreislaufwirtschaft, Rohstoffunabhängigkeit und Nachhaltigkeit fördern. Die technische Grundlage entsteht aktuell in Form acht harmonisierter europäischer Normen, die bis 2026 fertiggestellt sein sollen und ab 2027 schrittweise verpflichtend werden.

Im Interview spricht Anja Van Bocxlaer mit Otto Handle, Vorsitzender der CEN/CENELEC JTC 24 WG 4 „Digitaler Produktpass – Interoperabilitätsrahmen“ Arbeitsgruppe, über den Stand der Standardisierung, die Herausforderungen und Chancen für Unternehmen. 

Der Digitale Produktpass (DPP) gilt als zentrales Instrument des European Green Deal, um Kreislaufwirtschaft, Rohstoffunabhängigkeit und Nachhaltigkeit in Europa voranzutreiben. Seit 2024 arbeitet das CEN/CENELEC Joint Technical Committee 24 (JTC 24) intensiv an den Details: Über 200 Sitzungen wurden bereits abgehalten, um die acht von der Europäischen Kommission beauftragten Standards zu entwickeln.

Diese Entwürfe, die sogenannten „Draft Enquiries“, sind inzwischen bei den nationalen Normungsinstituten eingereicht und erstmals auch öffentlich einsehbar. Die neuen Ökodesign-Verordnung, die seit Juni 2024 in Kraft ist, fordert die Einführung Digitaler Produktpässe für zahlreiche Produktgruppen. Den Anfang machen Batteriespeicher über 2 kWh Kapazität, die ab 2027 einen DPP benötigen. Ab 2028 folgen weitere Produktgruppen entsprechend der Priorisierung der Europäischen Kommission. Insgesamt könnten bis zu sechs Millionen Unternehmen in Europa von der Pflicht betroffen sein, digitale Produktpässe bereitzustellen.

Baumeister Otto Handle engagiert sich seit 18 Monaten ehrenamtlich für die Entwicklung des Digitalen Produktpasses – aus Überzeugung. Mit seinem Unternehmen inndata standardisiert er seit über 25 Jahren den digitalen Datenaustausch in der Baustoffwirtschaft, gemeinsam mit den Branchenverbänden VBÖ, F.B.I. und ZIB, die vor allem in Österreich tätig sind. 

Für die ebenfalls österreichische Bundesinnung Baugewerbe ist er in verschiedenen Normungsgremien aktiv und leitet seit Anfang 2024 als Convenor (Vorsitzender) die europäische Arbeitsgruppe CEN/CLC/JTC24 WG 4 „Digital Product Passport – Interoperability“. Im Interview spricht er über den aktuellen Stand der Standardisierung, seine Motivation und die Herausforderungen für Unternehmen. 

Interview mit Otto Handle, Vorsitzender des Normenausschusses CEN/CLC/JTC24 WG4

Der Green Deal der EU-Kommission hat das Thema stark geprägt. Wie sehen Sie den Einfluss auf das DPP-Projekt?

Otto Handle: Der Green Deal, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2019 ausgerufen hat, war sicher ein entscheidender Impuls. Aus der Ökodesign-Verordnung als wesentlichem Teil des ersten Legislativpakets zum Green Deal stammt die Verpflichtung zur Publikation von Digitalen Produktpässen. Der Standardisierungsauftrag der Kommission an die JTC 24 wird engagiert abgearbeitet; dazu wurden seit April 2024 über 200 Sitzungen abgehalten, in denen die Entwürfe für den DPP erarbeitet wurden. Das zeigt, wie ernst die europäische Normung und natürlich die EU das Thema nehmen. 

Der DPP ist ein wesentliches Werkzeug zur Umsetzung der europäischen Nachhaltigkeitsbemühungen in Richtung Kreislaufwirtschaft, Rohstoffunabhängigkeit und Nachhaltigkeit. Deshalb engagieren sich Hunderte Expertinnen und Experten äußerst intensiv für die Umsetzung.

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Bmstr. Ing. Otto Handle, mba Vorsitzender CEN/CENELEC JTC 24 WG 4 „Digitaler Produktpass – Interoperabilitätsrahmen“, CEN und CENELEC

Digitaler Produktpass: Wo stehen wir gerade?

Aktuell läuft die Kommentierungsphase. Was folgt anschließend?

Otto Handle: Bis zum 18. September 2025 (dieses Datum gilt für die meisten Entwürfe) können die nationalen Spiegelgremien bei den Normungsinstituten ihre Kommentare zu den aktuellen Entwürfen einreichen. Hierbei werden auch Kommentare von Dritten berücksichtigt, die z.B. über das Portal des DIN in Deutschland eingereicht werden können. Diese Kommentare werden dann in den Arbeitsgruppen bewertet und geprüft. Die Entwürfe der Standards können dadurch zwar nicht mehr grundlegend verändert werden, doch jeder der wohl mehreren Hundert zu erwartenden Kommentare wird diskutiert und gegebenenfalls auch berücksichtigt. 

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Bmstr. Ing. Otto Handle, mba Vorsitzender CEN/CENELEC JTC 24 WG 4 „Digitaler Produktpass – Interoperabilitätsrahmen“, CEN und CENELEC

Welche Schritte folgen jetzt noch in den Arbeitsgruppen?

Otto Handle: Die Rückmeldungen werden gesichtet, bewertet und in die bestehenden Entwürfe der acht vorbereiteten, harmonisierten europäischen Normen eingearbeitet. Hierbei gilt das Konsensprinzip – solange jemand begründete Einwände hat, wird weiter am Konsens gearbeitet.

Die inhaltlichen Definitionen sind davon übrigens nicht betroffen. Diese werden in delegierten Rechtsakten der Europäischen Kommission unter Einbeziehung der Stakeholder im sogenannten „Ökodesign-Forum“ für jede Produktgruppe individuell erarbeitet, was naturgemäß einige Zeit in Anspruch nehmen wird und nach einer Prioritätenliste erfolgt. 

Wann werden die neuen Standards veröffentlicht?

Otto Handle: Die Veröffentlichung der acht Standards ist für den 31. März 2026 geplant. Die ersten inhaltlichen Festlegungen mittels der delegated acts sind für 2028 zu erwarten. Die genannten großen Batteriespeicher sind aufgrund der Batterieverordnung bereits ab Frühjahr 2027 DPP-pflichtig.

Wie dauerhaft sind die Standards, und wird es Revisionen geben?

Otto Handle: Standards werden üblicherweise alle fünf Jahre auf die Notwendigkeit einer Revision geprüft. Auf Antrag kann eine Revision aber auch schneller eingeleitet werden, wenn sich ein Bedarf zeigt. Das könnte beim DPP durchaus der Fall sein.

Digitaler Produktpass: Diese Anforderungen sind Pflicht

Welche Anforderungen müssen bei der technischen Umsetzung beachtet werden?

Otto Handle: Der DPP wurde, wie von der EU gefordert, technologieoffen und anbieterneutral gestaltet. Wichtig ist dabei sowohl die Konsumentenfreundlichkeit als auch die Nutzbarkeit für Softwaresysteme als maschinenlesbare, strukturierte Daten. Es darf keine technischen Barrieren geben, die den Zugang erschweren.

Welche Vorgaben gibt es für die Kennzeichnung?

Otto Handle: Grundsätzlich sind alle Kennzeichnungsmethoden erlaubt, solange sie den Anforderungen für den Unique Identifier und den Data Carrier aus den beiden hierfür vorgesehenen neuen Normen entsprechen. Es kann ein QR-Code sein, aber auch NFC oder UHF RFID sind denkbar. Entscheidend ist: Der Konsument muss die DPP-Informationen mithilfe eines der angebrachten Data Carrier mit einem handelsüblichen Smartphone bequem erreichen können – ohne verpflichtenden App-Download, ohne Angabe persönlicher Daten und ohne Tracking oder Profilbildung. 

Welche Produktgruppen bekommen künftig einen DPP?

Otto Handle: Im Grunde fast alle Produkte – mit einigen Ausnahmen wie Nahrungs- und Futtermitteln, Medikamenten, Waffen oder bestimmten Fahrzeugen. Auch sehr kleine Bauteile wie Schrauben müssen einen DPP erhalten, sobald es dafür einen delegierten Rechtsakt gibt. Die Kennzeichnung kann auf dem Produkt selbst, in der Verpackung oder in begleitenden Papieren erfolgen. Für den Retailbereich, insbesondere den Distanzvertrieb, z. B. über Onlineshops, muss der Hersteller auch einen hier nutzbaren Link zu den Informationen bereitstellen. Der Zugang muss in jedem Fall barrierefrei sein.

Gibt es Sonderregelungen, etwa für Batterien?

Otto Handle: Ja, Batterien sind ein Sonderfall, weil sie unter die speziellen Regelungen der Batterieverordnung fallen und bereits 2027 einen DPP benötigen.

Der DPP durch die Herstellerbrille

Wie aufwendig wird die Umsetzung für Unternehmen?

Otto Handle: Die Entwürfe der Standards sind entsprechend dem Auftrag der Europäischen Kommission so gestaltet, dass sie keine unlösbaren Herausforderungen auslösen. Jedes Softwaresystem, das sich an diese relativ niederschwelligen Standards hält, kann am DPP-System teilnehmen.

Die vordringlichere Aufgabe liegt darin, die eigenen Produkte kritisch zu überprüfen: Sind sie wirklich kreislauffähig, recycelbar und damit nachhaltig? Möglicherweise sind Maßnahmen im Bereich des Produktdesigns, der Produktdokumentation und der Zertifizierung erforderlich. Diese sollten zeitnah in Angriff genommen werden, da sie unabhängig von der eigentlichen DPP-Spezifikation schon heute begonnen werden können.

Der Digitale Produktpass ist Chance und Verpflichtung zugleich. Wer seine Produkte zukunftsfähig macht, kann das auch als echten USP im Vertrieb nutzen. Die EU-Kommission hat Bestimmungen auf den Weg gebracht, die grundsätzlich sinnvoll sind und auf hohem Niveau entwickelt wurden. Das DPP-System bietet auch kleineren Unternehmen die Chance, mit innovativen Produkten an einem fairen Markt erfolgreich teilzunehmen.

Bmstr. Ing. Otto Handle, mba
Bmstr. Ing. Otto Handle, mba Vorsitzender CEN/CENELEC JTC 24 WG 4 „Digitaler Produktpass – Interoperabilitätsrahmen“, CEN und CENELEC

Wie beurteilen Sie persönlich das Ergebnis der bisherigen Arbeit?

Otto Handle: Die Vorbereitung des DPP konnte bisher erfolgreich und im Zeitrahmen durchgeführt werden. Darüber freuen wir uns sehr. Auf Legislativ- und Standardisierungsebene wurde intensiv gerungen und sehr ordentlich abgeliefert. Das ist eine solide Basis für den Erfolg, den wir alle erhoffen. Die Zukunft wird zeigen, ob wir damit die Ziele des European Green Deal für Kreislaufwirtschaft, Rohstoffunabhängigkeit und Nachhaltigkeit tatsächlich erreichen können.

Digitaler Produktpass EU (DPP)

Der Digitale Produktpass ist ein standardisierter Datensatz, der während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts transparente Informationen zu Materialien, Herkunft, Nutzung und Recycling bereitstellt und so Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeitsziele unterstützt.

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