Interview mit Pierre Muller
1. Wird der DPP wirklich zur massenhaften Einführung von RFID führen oder bleibt es ein politisches Pilotprojekt?
Pierre Muller: Wir sehen viele Marken, die sich aktiv auf die DPP-Einführung vorbereiten. Die Diskussion hat sich vom „Wie implementieren wir?“ zum „Wie nutzen wir die Investition bestmöglich?“ verlagert. Für manche geht es um die Stärkung der Kundenbindung, für andere um Markenschutz und Fälschungssicherheit. In diesem Kontext gewinnt RFID als Trägertechnologie für den DPP klar an Dynamik.
2. Besteht die Gefahr fragmentierter, isolierter Lösungen durch unterschiedliche DPP-Standards in Europa?
Pierre Muller: Das Risiko von Fragmentierung besteht eher zwischen einzelnen Branchen als zwischen Ländern oder Regionen. Die meisten Lieferketten und RFID-Programme sind global aufgestellt und sorgen für konsistente Lösungen über Regionen hinweg. Die delegierten Rechtsakte unter der ESPR werden die Regulierung zwar auf branchenspezifische Bedürfnisse zuschneiden, was etwas Variation bringen kann. Aber letztlich gibt es nur wenige wirklich effektive Datenträgertechnologien, sodass das Fragmentierungsrisiko begrenzt bleibt.
Die Gesamtkosten hängen typischerweise vom Umfang des Rollouts ab. Angesichts des DPP-Ziels erwarten wir sehr kosteneffiziente Systeme, die eine breite Einführung ermöglichen. Für günstigere Produkte bieten QR-Codes einen praktikablen, kostengünstigen Einstieg.

3. NFC, UHF, Dual-Frequency – welche Technologie wird sich durchsetzen, wenn überhaupt?
Pierre Muller: Diese Technologien schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. Ihr Einsatz – einzeln oder in Kombination – hängt von den Anwendungsfällen ab. Die Vielfalt der Marktbedürfnisse macht es unmöglich, dass eine einzelne Technologie alle Anforderungen abdeckt.
Wir werden Kombinationen wie QR-Code mit RAIN RFID oder NFC mit RAIN sehen, je nach Use Case. NFC- und Dual-Frequency-Lösungen (HF + UHF) – was wir RAINFC nennen – werden besonders dort relevant sein, wo Markenschutz und Fälschungssicherheit Priorität haben, etwa bei Luxusgütern, Pharmazeutika oder Nahrungsergänzungsmitteln.
4. Es gibt bislang keine verbindlichen Spezifikationen für die Etikettenindustrie. Ist das ein Problem?
Pierre Muller: Für die Etikettenindustrie sind zwei Punkte entscheidend: Wie Labels in Produkte integriert werden und wie sie in verschiedenen Anwendungen funktionieren. Klare Spezifikationen und Testprotokolle sind wichtig, um Interoperabilität zu gewährleisten und die Masseneinführung zu fördern. Ein gutes Beispiel sind die ARC-Spezifikationen der Auburn University für RAIN RFID im Einzelhandel, die inzwischen auch andere Branchen als Referenz heranziehen.
Firmen wie Decathlon, die RFID erfolgreich eingeführt haben, helfen ebenfalls dabei, andere Unternehmen zu orientieren. Langfristig werden standardisierte Spezifikationen ein großer Vorteil sein. Und bei der Integration von Labels in Produkte liegt eine echte Chance für Innovation und Differenzierung in der Branche.
Think WIOT Insight:
Der Digitale Produktpass ist nicht nur eine regulatorische Pflicht, sondern auch eine strategische Chance. Mit dem Start 2026 wird das Zusammenspiel aus Transparenz, Nachhaltigkeit und Technologie darüber entscheiden, wie sich Branchen anpassen. RFID, NFC und Dual-Frequency-Tags werden dabei eine Schlüsselrolle spielen – aber Flexibilität, Kosteneffizienz und branchenweite Abstimmung bleiben entscheidend.