Industrial AI: Europa muss den nächsten Sprung wagen
Mit Industrie 4.0 hat Europa Maßstäbe gesetzt. Jetzt steht mit Industrial AI der nächste Quantensprung bevor – doch Regulierung und Unsicherheit bremsen viele Unternehmen aus. Dr.-Ing. Gunther Kegel, President ZVEI und Chief Representative der Pepperl+Fuchs Group, ruft dazu auf, den Sprung zu wagen.
„Sind wir bereit für die nächste industrielle Revolution?“ – mit dieser Frage eröffnet Dr.-Ing. Gunther Kegel sein aktuelles Statement auf der SPS und knüpft direkt an den Erfolg von Industrie 4.0 an. 2011 wurde der Begriff in Deutschland geprägt – heute ist er weltweiter Referenzpunkt für vernetzte und digitalisierte Produktion.
Jetzt rollt die nächste Welle an: Industrial AI. Für Kegel bedeutet sie einen echten Quantensprung – weg von starren, programmierten Abläufen hin zu lernenden, adaptiven und eigenständig handelnden Systemen in Fabriken und Infrastrukturen.
Das Ziel: Software Defined Manufacturing, in der branchenspezifisches Ingenieurwissen und datengetriebene Intelligenz zusammenfinden.
Industrial AI mache Produktion resilienter, nachhaltiger, global konkurrenzfähiger – und sichere damit die Zukunftsfähigkeit der Industrie, so Kegel. Kaum eine andere Region habe dafür so gute Voraussetzungen wie Europa.
Enormes Marktpotenzial – und ein Warnsignal
Die wirtschaftliche Dimension ist gewaltig:
Industrial-AI-Anwendungen und -Services haben heute ein globales Marktvolumen von bis zu 52 Mrd. €,
bis 2035 könnte es auf rund 380 Mrd. € anwachsen,
der gesamte KI-Sektor sogar auf 2 Billionen €.
Für Deutschland allein sieht Kegel ein Wertschöpfungspotenzial von bis zu 144 Mrd. €.
Eine ZVEI-Umfrage zeigt: Die Unternehmen haben das verstanden. Ein Viertel der Befragten plant, 20 % oder mehr der Gesamtinvestitionen in KI-Anwendungen zu stecken.
Gleichzeitig sehen jedoch viele Firmen die aktuelle und geplante EU-Regulierung – etwa AI Act, Data Act und Cyber Resilience Act – als starke Belastung. 42 % der Unternehmen mit Industrial-AI-Projekten denken sogar darüber nach, außerhalb der EU zu investieren, weil sie die regulatorische Unsicherheit abschreckt.
Für Kegel ist das ein unübersehbares Warnsignal.
Regulierung vereinfachen, Innovation ermöglichen
Während andere Weltregionen Industrial AI bereits entschlossen vorantreiben, laufe Europa Gefahr, sich in komplexen und teils widersprüchlichen Regelwerken zu verlieren. Der vorgelegte Digital-Omnibus sei allenfalls ein Schritt in die richtige Richtung – die zentralen Innovationsbremsen wie Doppelregulierung blieben jedoch bestehen.
Kegel fordert stattdessen:
klare, verlässliche Rahmenbedingungen,
leistungsfähige Dateninfrastrukturen,
harmonisierte Standards und
Transferzentren, die Industrial AI aus der Forschung schneller in die industrielle Praxis bringen.
Nur dann könnten Innovationen in einem angemessenen Zeitrahmen Realität werden – und Europa seinen Vorsprung in der industriellen Wertschöpfung sichern.
Industrial AI: Evolution der Industrie – nicht nur ein Technologie-Hype
Industrial AI ist für Kegel keine Einzeldisziplin, sondern die intelligente Evolution der Industrie selbst: von Predictive Maintenance über intelligente Energiesysteme bis hin zu neuen Geschäftsmodellen und verkürzten Innovationszyklen. Sie wird globale Wettbewerbsdynamiken neu ordnen.
Sein Fazit ist klar:
Wir müssen diesen Sprung wagen – ohne Angst vor der Technologie, mit Vertrauen in unsere Fähigkeiten. „Wir können Technologie. Wir können industrielle Revolution. Wir können gestalten.“