Chiplose RFID-Sensoren: Nachhaltig messen und kennzeichnen – ohne Chip

Chiplose RFID-Sensoren ermöglichen eine nachhaltige, druckbare Verbindung von Kennzeichnung und Messung und schaffen so neue, kosteneffiziente Datenquellen direkt am Produkt.

  • Veröffentlicht: 27. Oktober 2025
  • Lesezeit: 6 min
  • Von: Anja Van Bocxlaer
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Chiplose RFID-Sensoren: Nachhaltig messen und kennzeichnen – ohne Chip
Gedruckte Resonator-Tags: kontaktlose Sensorik ohne Chip, mit grünem Footprint. Quelle: Think WIoT
  • Chiplose RFID-Sensoren kombinieren Identifikation und Messung ohne Batterie oder Mikrochip.
  • Gedruckte Resonatoren auf Papier oder Biopolymeren sind kostengünstig und potenziell recyclingfähig oder biologisch abbaubar.
  • Reader-Typen reichen vom Labor-VNA über flexible SDRs bis zu linienfähigen Breitband-Readern für die Industrie.
  • Typische Reichweiten liegen im mm- bis Dezimeterbereich, passend für Linien, Scannerzonen und Nahbereichsanwendungen.

Smart, günstig, kontaktlos – wie weit ist die Sensorik ohne Chip?

Chiplose RFID-Sensoren versprechen Identifikation und Messung ohne Mikrochip und Batterie – gedruckt, kosteneffizient, nachhaltig. Dieser Beitrag zeigt, wo die Technologie heute steht, wie gedruckte Resonatorstrukturen funktionieren, welche Materialien und Fertigungswege sich durchsetzen, welche Reader-Lösungen den Schritt vom Labor in die Linie ermöglichen und wo Anwendungen wie Smart Packaging, Logistik oder Landwirtschaft bereits profitieren.

Was sind chiplose RFID-Sensoren?

Chiplose RFID-Sensoren sind gedruckte, passive Resonator-Etiketten ohne Mikrochip und Batterie. Sie werden vom Funksignal des Readers erfasst und antworten nicht mit Datenpaketen, sondern mit einem charakteristischen Rückstreu-„Fingerabdruck“, der zugleich Identifikation und Messwert enthält.

So funktioniert’s – Schritt für Schritt

  1. Der Reader sendet ein Radiofrequenz-Signal (meist breitbandig).

  2. Der gedruckte Resonator (z.B. Antenne/LC-Resonator) reflektiert das Signal.

  3. Im Rückstreuspektrum erscheinen Resonanzstellen (Peaks/Notches).

  4. Umgebungsgrößen wie Feuchte, Temperatur oder Dehnung verschieben/dämpfen diese Resonanzen.

  5. Aus der Lage und Form der Resonanzen berechnet die Auswertung ID/Fingerprint und Sensorwert.

Woraus besteht ein Tag?

  • Leiterstrukturen: z.B. Silber-, Kupfer- oder Kohlenstofftinten (druckbar per Siebdruck/Flexo/Inkjet).

  • Substrat: Papier, Folien oder biologisch abbaubare Materialien (Biopolymere).

  • Geometrie: Antennen, LC-Resonatoren, Metamaterial-Muster – auf die Ziel-Frequenz und Messgröße optimiert.

Welche Größen kann er messen?

  • Feuchte (je größer die elektrische Durchlässigkeit, auch Permittivität genannt, des Materials, des zu niedriger die Resonanzfrequenz)

  • Temperatur (durch Veränderung der Materialkoeffizienten verschieben sich Peaks/Notches/Resonanzfrequenzen auch Spektral-Drift genannt)

  • Dehnung/Last (Eine Veränderung der Geometrie/Impedanz führt zu einer Notch-Verschiebung)

  • Chemische Parameter/Ionen (Beschichtungen, die gezielt auf eine Substanz reagieren verändern die elektrischen Eigenschaften des Resonators. Das sieht man im Spektrum an Q-Faktor und Amplitude der Resonanz.)

Wie unterscheidet sich das von klassischer RFID bzw. QR-Code?

  • Gegenüber UHF-RFID (mit Chip):

    • Positiv: Chiplose RFID ist günstiger, nachhaltiger, druckbar;

    • Negativ: es gibt keine standardisierte Protokollantwort und die Reichweiten sind kürzer (meist mm oder dm statt m).

  • Gegenüber QR-Codes:

    • Positiv: Kein Sichtkontakt nötig, Pulk-Erfassung möglich;

    • Negativ: benötigt Radiofrequenz-Reader statt Kamera.

Typische Betriebsdaten (heute)

  • Frequenzen: UHF bis Mikrowelle (≈ 0,8–10 GHz, applikationsabhängig)

  • Reichweite: Millimeter bis Dezimeter (Linie/Scannerzone), im Labor teils mehr

  • Kostenperspektive: Sub-Cent bis Low-Cent pro Tag bei Roll-to-Roll-Druck

  • Nachhaltigkeit: Kein Chip, keine Batterie, recyclingfähig/abbaubar je nach Substrat

Kernidee: Der Frequenz-Fingerprint wird zur ID, die Fingerprint-Änderung zur Messung – damit vereint chiplose RFID Kennzeichnung und Sensorik in einem einzigen, extrem einfachen Bauteil.

Materialien & Fertigung

Chiplose RFID-Sensoren werden je nach Stückzahl und geforderter Auflösung per Siebdruck, Flexo oder Inkjet auf Papier, Folien oder Biopolymere gedruckt – auf Wunsch auch auf biologisch abbaubaren Substraten. Als leitfähige Tinten kommen Silber sowie kostengünstigere Alternativen wie Kupfer oder Kohlenstoff zum Einsatz; zunehmend werden auch leitfähige Polymere und Graphit verwendet, um recyclingfähige Designs zu ermöglichen.

Die Tags lassen sich mit funktionalisierten Sensorschichten ausstatten, die gezielt auf Feuchte, pH/Ionen, Temperatur oder Dehnung reagieren und so die Resonanz verändern.

Für große Stückzahlen bietet sich die Roll-to-Roll-Fertigung mit Inline-Trocknung und optionaler Inline-Messtechnik (z. B. Impedanz- oder optische Checks) an.

Das Ergebnis sind sehr günstige, potenziell im Sub-Cent- bis Low-Cent-Bereich liegende Einheiten – ohne Batterie, ohne Elektronikschrott und je nach Materialwahl recyclinggerecht oder sogar biologisch abbaubar.

Reader-Technologie: Vom Labor in die Linie

Weil chiplose Tags keinen Mikrochip besitzen, senden sie keine Protokollantwort. Stattdessen verändert ihre Struktur das eingestrahlte Funksignal so, dass ein Rückstreuspektrum mit Resonanzstellen (Peaks/Notches) entsteht. Reader müssen genau dieses Spektrum messen und interpretieren.

  • Vektor-Netzwerkanalysator (VNA):
    Im Labor ist der VNA-Reader das Referenzwerkzeug. Er regt breitbandig an und misst extrem präzise, bei welchen Frequenzen der Tag Energie schluckt oder reflektiert. Ergebnis: ein hochauflösender Fingerprint – ideal für Design, Kalibrierung und Materialtests.

  • Software Defined Radio (SDR):
    Der SDR ist ein programmierbares Funkgerät, das Sende- und Empfangscharakteristik per Software anpasst. So lassen sich Erkennungs- und ML-Algorithmen direkt umsetzen: z. B. Resonanzsuche, Driftkompensation, Mehrfach-Erkennung in Echtzeit. SDRs sind flexibel und kostengünstiger als VNAs – perfekt für Pilotanlagen und Prototyp-Reader.

  • Breitband-Reader (UHF/Mikrowelle):
    Für die Industrie entstehen kompakte Geräte, die – ähnlich wie ein RFID-Reader – speziell für chiploses Auslesen gebaut sind: robustes Gehäuse, integrierte Antennen, API zur Anbindung an SPS/MES, und genügend Bandbreite, um die Resonanzen sicher zu erkennen. Ziel: linien- und gate-taugliche Erfassung ohne Laboraufwand.

VNA für die Entwicklung, SDR für flexible Pilotierung, und industrielle Breitband-Reader für den Serieneinsatz – so wird aus Labor-Spektroskopie eine linienfähige Technologie.

Praxiswerte & Herausforderungen

Aktuell liegen die Reichweiten meist im mm- bis Dezimeterbereich (abhängig von Frequenz, Tag-Design, Material). Das ist für Nahbereichsanwendungen wie Verpackungslinien, Wareneingangsgates oder Scannerzonen bereits praxisgeeignet.

Mehrere Tags lassen sich parallel erfassen, allerdings ohne klassisches Anti-Kollisionsprotokoll: Die Trennung erfolgt über unterschiedliche Spektralfingerprints, Position/Abstand, Zeit (Bewegung/Gating) oder Polarisation.

Multipath (Mehrwegeausbreitung durch Metall und Umgebung) und Feuchtigkeit zählen zu den zentralen Störfaktoren; Letztere dämpft und verschiebt die Resonanzen. Abhilfe schaffen gerichtete Antennen, klar definierte Messgeometrien, Referenzmarker, passend gewählte Frequenzfenster sowie robuste Algorithmen (Filterung, ML-Klassifikation, Driftkompensation).

Anwendungen & Status aus der Praxis

  • Smart Packaging & Retail – Frische-/Feuchteindikatoren, Echtheitsprüfung, verdeckte Kennzeichnung ohne Sichtkontakt.

  • Logistik & Kreisläufe – Bulk-Erfassung, Leckage-/Feuchtemonitoring in Kisten/Behältern.

  • Pharma & MedTech – Manipulationsschutz, Rückschluss auf den Temperaturverlauf mittels spektraler Effekte. Manche Temperaturschwankungen sind nämlich reversibel (Temperatur steigt → Frequenz sinkt, fällt → Frequenz steigt zurück). Andere sind kumulativ: Nach längerer Wärmebelastung bleibt ein bleibender Shift.

  • Bau & Infrastruktur – Chiplose Dehnungssensoren in Beton/Asphalt/Faserverbunden.

  • Landwirtschaft & UmweltBodenfeuchte-/Ionen-Sensorik auf abbaubaren Substraten für punktdichte Messnetze – aktuell u.a. in europäischen Feldtests, bei denen passive, chiplose RFID-Sensorknoten auf biologisch abbaubaren Substraten Bodenfeuchte und Nährstoffgehalt erfassen. Die Tags zerfallen nach dem Einsatz umweltverträglich; eine KI-gestützte Auswertung liefert Empfehlungen für Bewässerung und Düngung.

Fazit

Chiplose RFID-Sensoren verbinden Kennzeichnung und Messung auf druckbaren, kosteneffizienten, nachhaltigen Strukturen. Mit reifender Reader-Technik und laufenden Feldtests wächst das Potenzial für Smart Packaging, Supply Chain und Industrie 4.0 – bis hin zu abbaubaren Sensornetzen im Feld. Wer jetzt pilotiert, sichert sich Transparenz, Kostenvorteile und neue Datenpunkte direkt am Produkt.

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